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Die Zwergohreule auf Kalypsos
Insel?
Eulen bei Homer
von Guntram Erbe
Niemand erinnert sich ja des göttergleichen Odysseus
Von den Völkern, die er mit Vaterliebe beherrschte!
Sondern er liegt in der Insel, mit großem Kummer belastet,
In dem Hause der Nymphe Kalypso, die mit Gewalt ihn Hält;
Dieser göttergleiche Odysseus,
alleine gestrandet auf Kalypsos Insel Ogygia, sitzt tagsüber weinend und
sinnend am Strand und liegt nachts bei Kalypso, der göttlichen Nymphe, der
Versteckten und der Versteckerin. Beides bedeutet ihr
Name.
Wo versteckt Kalypso sich und den mit Gewalt gehaltenen Odysseus?
Auf einer von Odysseus Heimat Ithaka weit entfernten Insel, am
westlichen Ende der bekannten Welt. Mit ihrer vom Dichter beschriebenen Natur
kann Ogygia ohne Mühe als Götter- und Lotterinsel erkannt werden. Vor
allem die nach vier Richtungen fließenden Quellen und die
bedeutungsgeladene Vegetation darum herum, in der Kalypsos Liebesnest, eine
Felsengrotte liegt, machen das klar. Und in dieser Landschaft hausen
Vögel, deren Eigenschaften möglicherweise den soeben herangeflogenen
Hermes reflektieren, der gekommen ist, Kalypso den Befehl der Götter zu
überbringen, Odysseus ziehen zu lassen. Schnell und wendig ist Hermes
Laro ornithi eoikos - einer Möwe gleich - knapp über den
brandenden Wogen angeflogen. Und Vögel mit so breiten Schwingen - soll
heißen so rasante Flieger - sind auch die Skopes und
Irekes und die Koronai eilaniai, die im Umkreis der
Grotte wohnen. Voß und Schadewaldt übersetzen Skopes
mit Eulen, Irekes mit Habichten und
Koronai eilaniai mit Wasserkrähen.
Kann
das stimmen?
Wir müssen bedenken, dass uns im heutigen
griechischen Text eine hellenistische Fassung vorliegt, die bereits eine
Bearbeitung darstellt. Hierin heißt es Skopes,
während ursprünglich, also Jahrhunderte vorher, von Kopes
die Rede war. Schon Aristoteles bemühte sich um eine Festlegung des Wortes
Kopes und meinte, die Kopes seien noch kleiner als die
Glaukes. Einer möglicherweise falschen Etymologie folgend,
wurde im Umkreis der Alexandrinischen Bibliothek aus Kopes
Skopes. Zumindest seit hellenistischer Zeit dürften mit
Skopes (Einzahl Skops) die Zwergohreulen gemeint sein,
die noch kleiner sind als die Glaukes (Einzahl Glaux).
Glaux ist unumstritten der Steinkauz, die Eule der Athene. Wen
aber nun der Dichter der Odyssee mit Kopes benannt haben
könnte, bleibt unergründlich. Es ist eher anzunehmen, dass er keine
genaue Art meinte, sondern allgemein Eulen; denn die nach den Kopes
genannten Irekes bezeichnen höchstwahrscheinlich auch keine
einzelne Art, sondern es sind eher allgemein kleinere Falken und überhaupt
kleine, angriffslustige, pfeilschnelle Taggreife gemeint. Deshalb sollte
Irex auch nicht mit Habicht übersetzt werden, weil
dieses Wort im Deutschen, anders als hawk im Englischen, der Name
einer genauen Art ist. Aus all dem schließe ich, dass man der
eigentlichen Intention des Dichters recht nahe kommt, wenn man Kopes
t Irekes als Nacht- und Taggreife übersetzt.
Halten wir uns dagegen eher an die hellenistische Fassung, stimmt wohl
Zwergohreulen für Skopes. (Sowohl Kops
als auch Skops haben übrigens als cop im
Provençalischen und als scupiu im Sizilianischen
überlebt. Diese Namen bezeichnen wie Otus scops die
Zwergohreule.) Die Koronai eilaniai wurden immer wieder als
Wasserkrähen übersetzt. Eine altes Sprichwort sagt:
Der Rabe, der den Kormoran nachahmt, muss viel Wasser schlucken.
Ich will das mal auf die Übersetzer übertragen: Der
Übersetzer, der nichts von Ornithologie versteht, geht fehl. Diese
Wasserkrähen sind natürlich Kormorane.
Was
können nun diese Vögel mit der Bedeutung des Biotops im
Umkreis von Kalypsos Grotte zu tun haben? Dafür habe ich im Falle der
Zwergohreule eine banale Erklärung. Wer je nächtelang den Ruf der
Zwergohreulen nahe seines Ruhelagers vernommen hat, kennt die Wirkung dieses
nervtötenden Balzgehabes. Wer könnte da schlafen? Und das kommt
Kalypso zugute. Soll Odysseus doch tagsüber am Gestade von seiner
Heimkehr träumen, in der Nacht hat er zu wachen und ihr, der Nymphe, zu
Willen zu sein!
Kalypsos Grotte ist ein göttlicher Liebespfuhl.
Die Lagerstätte ist vermutlich mit auf der Wiese wachsenden Veilchen
ausgelegt wie einst das Hochzeitsbett von Zeus und Hera. Und den wild
wachsenden Sellerie nutzten die Griechen als Aphrodisiakum. Den hat Kalypso
oder eine der im Text kurz erwähnten Dienerinnen Odysseus lecker
zubereitet. Der Duft qualmender Räucherstäbchen aus dem Holz von
Zeder und Lebensbaum benebelt ihn. Nicht umsonst umrankt ein Weinstock Kalypsos
Grotte. Im Rausch wird sich Odysseus sicher leichter wie Dionysos verhalten
haben. Und wenn er ganz gut gewesen ist, windet Kalypso ihm einen Kranz von
Sellerie um den Kopf, so wie das bei den Siegern eines Wettkampfes zu Argos zu
sein pflegte.
Lebte er also wie im Elysium?
Die
Landschaftsbeschreibung legt es nahe. Zypressen werden genannt. Im
Wurzelwerk einer Zypresse entspringt Lethe, der Fluss des Vergessens.
Ähnlich entspringen auf Kalypsos Insel vier Quellen, und die feuchte
Umgebung ist bestanden von Erlen und Pappeln.
Und dann immer wieder der
nächtliche Ruf der Zwergohreule, der Odysseus an seine männlichen
Pflichten Kalypso gegenüber erinnert und auch die Erinnerung an Penelope
und das schlechte Gewissen wachruft. Was Wunder, dass er diesen
göttlichen Zuständen den Rücken gekehrt hat
Hier mein
Übersetzungsversuch, der auf das griechische Metrum keine Rücksicht
nimmt:
Rings um die Grotte wuchs ein Hain voll grünender
Bäume, mit Erlen und Pappeln und wohlriechenden Zypressen.
Dort wohnten die breitschwingigen Vögel, sowohl
Zwergohreulen und Falken als auch die breitzüngigen Kormorane,
die bedacht sind auf ihr Tagewerk (ihren Fischfang) im Meer.
Um die gewölbte Felsengrotte rankte sich ein kräftig
wuchernder Weinstock voll prangender Trauben. Und vier Quellen
ergossen ihr blinkendes Wasser nahe beieinander in verschiedene Richtungen.
Wiesen grünten ringsumher, mit Veilchen bewachsen und
Sellerie.
Die Rufe eines balzendenden Zwergohreulenpärchens in
einem Ausschnitt aus "Contrappunto bestiale alla mente" von Adriano
Banchieri (1567-1634).
Nobili spettatori, udret' hor hora quatro belli
humori: Un cane, un cuccu, un gatto, un chiú per spasso, far
contrappunto a mente sopra un basso. |
Das Weibchen antwortet dem Männchen einen Ganzton
höher.
© der Bearbeitung by Guntram
Erbe (Die Melodie der Katze mit echten Katzenlauten zu erzeugen, ist mir
nicht gelungen. Kuckuck, Hund und Zwergohreulen dagegen sind
"echt".)
Nulla fides gobis similiter est zopis, si
squerzus bonus, bonus est super annalia scribe. |
Diesen interessanten Text hat
Guntram Erbe geschrieben und mir für meine Eulenwelt zur
Verfügung gestellt. Herzlichen Dank !
Guntram Erbe hat auch eine Webseite
mit vielen anderen interessanten Texten.
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