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Verse IVChristian Morgenstern
(1871 - 1914)
Galgenlieder
Bundeslied der
Galgenbrüder. O schauerliche Lebenswirrn, wir hängen
hier am roten Zwirn! Die Unke unkt, die Spinne spinnt, und schiefe
Scheitel kämmt der Wind. Du bist verflucht! so sagt die Eule. Der
Sterne Licht am Mond zerbricht. Doch dich zerbrach's noch immer nicht.
O Greule, Greule, wüste Greule! Es schreit der Kauz: pardauz!
pardauz! da taut's, da graut's, da braut's, da blaut's! |
Die Fingur.
Es lacht die
Nachtalp-Henne, es weint die Windhorn-Gans, es bläst der schwarze
Senne zum Tanz.
Ein Uhu-Tauber turtelt nach seiner Uhuin.
Ein kleiner Sechs-Elf hurtelt von Busch zu Busch dahin ..
Und
Wiedergänger gehen, und Raben rufen kolk, und aus den Teichen
sehen die Fingur und ihr Volk ... |
Der Mondberg-Uhu Der Mondberg-Uhu
hat ein Bein, sein linkes Bein, im Sonnenschein. Das rechte Bein jedoch
des Vogels bewohnt das Schattenreich des Kogels.
Bis hundertfunfzig
Grad im Licht gibt Herschel ihm (zwar Langsley nicht), im Dustern
andrerseits desgleichen dasselbe mit dem Minuszeichen.
Sein Wohl
befiehlt ihm (man versteht), daß er sich stetig ruckweis dreht.
Er funktioniert wie eine Uhr und ist doch bloß ein Uhu nur.
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Der Walfafisch oder: Das Überwasser
Das Wasser rinnt, das Wasser spinnt, bis es die ganze Welt
gewinnt. Das Dorf ersäuft, die Eule läuft, und auf der Eiche
sitzt ein Kind.
Dem Kind sind schon die Beinchen naß, es ruft:
"Das Wass, das Wass, das Wass!" Der Walfisch weint und sagt: "Mir
scheint, es regnet ohne Unterlaß."
Das Wasser rann mit Zasch und
Zisch, die Erde ward zum Wassertisch. Und Kind und Eul, o Greul, o
Greul - sie frissifraß der Walfafisch.
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Nein!
Pfeift der Sturm? Keift ein Wurm?
Heulen Eulen hoch vom Turm?
Nein! Es war des
Galgenstrickes dickes Ende, welches ächzte, so als ob im
Galopp eine müdgehetzte Mähre nach dem nächsten Brunnen
lechzte (der vielleicht noch ferne wäre).
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